Nr. 19 (1998)

Die Einheit von Buddhismus und Hinduismus in Erfahrung und Lehre des Dalai Lama

Nr. 19 (1998)

von Edmund Weber

Der Dalai Lama, seit 1959 in indischem Exil, in einem mehrheitlich hinduistischen Lande, hat sich vielfach zum interreligiösen Dialog und den interreligiösen Beziehungen geäußert und keinen Zweifel daran gelassen, daß für die Menschheit der Buddhismus nur eine von vielen religiösen Möglichkeiten darstellt. Das Verhältnis zum Hindutum hat er aber stets als besondere Beziehung interpretiert und als religiöse Verwandtschaft erlebt. Beide Religionswelten gehören zum Bharatiya, d.h. indogenen Dharma. Die konkrete Gestaltung dieser Beziehung beschränkt der Dalai Lama keineswegs

auf akademische Äußerungen, sondern sie zeichnet sich durch religiöse Teilnahme und oft genug durch politisch hochbrisantes Engagement aus.

So nahm der Dalai Lama bereits 1979 an dem von Vishva Hindu Parishad organisierten Zweiten Welt Hindu Kongreß in Prayag-Allahabad führend teil.

In dem Text zu seiner Begrüßung heißt es programmatisch, daß vor 2500 Jahren die Kashi (d.h. Varanasi) Pandits dem Buddha den Zutritt zum Vishvanath-Tempel verweigert hätten, und daß – obwohl Shakya Muni (von den Hindus) später als Avatar verehrt wurde – der Streit zwischen Sanatanis (Hindus) und Buddhisten Jahrhunderte lang zu keinem Ende gekommen sei. Indem aber jetzt die Kashi Pandits den hoch angesehenen buddhistischen Religionsführer begrüßten, sei dies „a positiv step towards reconciliation“[1]. Der Dalai Lama machte also die erstaunliche Erfahrung, daß die geistlichen Führer der Mehrheitsreligion, die ja keineswegs auf die Unterstützung eines Asylanten angewiesen waren oder sind, ihm nicht nur versicherten, daß die Hindus seit alters her Buddha höchste göttliche Verehrung zollten, sondern daß sie die Mitwirkung des machtlosen und exilierten Buddhistenführers als einen Beitrag zur Versöhnung der beiden Religionswelten verstanden. Der Dalai Lama mußte erleben, daß die Mächtigen der Hindus im Gegensatz zu den kommunistischen Machthabern Chinas, seine Schwäche nicht ausnutzten, sondern im Gegenteil, die bisherige schwierige Beziehungsgeschichte von Hindus und Buddhisten selbstkritisch bedauerten. Die Kashi Pandits widersprachen ihren eigenen Vorgängern, indem sie den Dalai Lama ausdrücklich als buddhistischen Religionslehrer wilkommen hießen.

Auf dieses Versöhnungsangebot reagierte der Dalai Lama zunächst einmal rituell, indem er zwei Kashi Pandits nach traditioneller tibetischer Sitte eine Kokusnuß und eine weiße Robe darbot [2].

In seiner dann folgenden Festansprache, mit der er, offiziell gebeten, den Hindu Kongreß eröffnete, erklärte er vor den Delegierten des Hindutums: „It is a matter of surprise if we think in narrow terms that a Buddhist saint inaugurating a Hindu conference. I found nothing wrong in it“[3]. Und dann, nachdem er den indischen Ursprung des Buddhismus betont hatte, erklärte er kategorisch: „After talking to the learned people here, I have come to the conclusion that there is no difference between our and their philosophy and worship“[4].

Der Dalai Lama wies damit ganz entschieden die Differenzideologie zurück und stellte die fundamentale Einheit von Hinduimus und Buddhismus in Praxis und Lehre der Religion fest. Die besondere Beziehung von Bauddhadharma und Hindudharma liege in der gemeinsamen Reinkarnationslehre begründet: „In this regard Buddhists are in union with the Bharatiya Dharma and culture“[5].

Diese Anerkennung der grundsätzlichen Übereinstimmung mit dem Hindutum hebt der Dalai Lama aber nicht durch die Absolutsetzung einer bestimmten religösen Methode, nachträglich wieder auf: „Tastes, interests and abilities differ from man to man. Hence it is not feasible for any one religion to fulfill their needs“[6].

Der Buddhismus ist also keineswegs der allgemein beste Weg, er ist nur für bestimmte Menschen der richtige Weg. Damit weist der Dalai Lama jeglichen buddhistischen Absolutheitsanspruch ab, und reiht ihn auf Grund einer konstruktiven Relativitätstheorie der Religionen in die Reihe der vielen legitimen und notwendigen, aber methodisch divergierenden Dharmas und Sampradayas ein: „That is why different Dharmas and Sampradayas came into being. And this but natural“[7]. Die nichtbuddhistischen Wege, und der Dalai Lama meint hier gerade die hinduistischen, sind wahre und richtige Wege zu „deliverance,“ der endgültigen Erlösung, „the ultimate aim of all religions“[8]. Kein Weg kann allgemeingültig sein; daher gilt: „no single religion is suitable to all“[9].

Aber der Dalai Lama lehnt auch unter den unterschiedlichen Wegen jede Hierarchisierung ab, etwa daß der Hinduismus eine primitive Vorstufe des Buddhismus sei: „This does not mean that one religion is superior and another inferior“[10]. Seiner Ansicht nach haben alle Religonslehrer ihre Erfahrungen zum Wohlergehen der Menschhheit offenbart, „but not to create differences between man and man“[11].

Von daher ist der Dalai Lama nicht an der interreligiöse Differenz produzierenden Expansion irgendwelcher Religionsorganisationen interessiert, sondern allein daran, daß die Menschen die religösen Lehren ihrer Religion endlich verwirklichen [12].

Und wie wenig der Dalai Lama den Buddhismus, den er auf Grund der seiner eigenen Erfahrung als den für ihn persönlich rechten Weg hält, dennoch nicht dogmatisiert, sondern einer ständigen Selbstkritik aussetzt und Umwandlung unterwirft, offenbaren seine abschließenden Worte, mit denen er eine logisch aus der buddhistischen Interdependenzontologie folgende historische Religionskritik formuliert und aus ihr Reformen der etablierten Religionskultur zur Sicherung des gemeinsamen Dharmas ableitet: „According to Bhagavan Buddha all sacraments are subject to change. Hince for the preservation of fundamental principles of Dharma it is essential to review them from time to time and we must be prepared to adopt new and useful things and dispel those which proved outdated“[13].

Durch diese selbstkritische Bemerkung nimmt der Dalai Lama das selbstkritische Versöhnungsangebot der Kasi Pandits positiv auf und schafft damit zugleich die Grundlage einer neuen irenischen Beziehungskultur von Hindus und Buddhisten – ganz im Gegensatz zur antihinduistischen Militanz des westlich-konfessionalistischen, indisch-isolationistischen oder japanisch-imperialisti-schen Neo-Buddhismus.

Daß der Dalai Lama die Eröffnungsrede, die in klassischen Sätzen den Bharatiya Dharma für die heutige Zeit auf den Begriff bringt, vor den engagierten Hindu Repräsentanten nicht aus taktischen Gründen hielt, diese vielmehr ein politisches Risiko darstellte, wird u.a. daran erkenntlich, daß die indische Kongreßregierung Narasimha Raos ihm den Besuch eines der nachfolgenden Hindu Kongresse (1992, Washington, D.C.) verbot und die die Regierung Gowda (JD) kontrollierenden atheistischen Kommunisten ihm wegen angeblicher antichinesischer Propaganda einen Maulkorb umhängen wollten. Der Dalai Lama, so scheint es, hatte sehr bald begriffen, daß nur die Inder, die auf den gemeinsamen Bharatiya Dharma von Hindus und Buddhisten bauen, allein verläßliche Dharma-Solidarität üben, nicht aber jene Kräfte, die um des Machterhalts willen die gemeinsame Dharma-Kultur durch eine künstliche religiöse Separation aufspalten.

Diese seine Einschätzung wird denn auch neuerdings wieder bestätigt, wenn der 7. Dharma Sansad [14], der am 16-17.11.1996 in Delhi stattfand, und an dem u.a. der Tibeter Prof. Rinpoche teilnahm, im Gegensatz zu den damaligen indischen Regierungskommunisten „immediate withdrawal of Chinese military forces from Tibet“ verlangt und gefordert, daß dieses Land zu einem „place of peace and ahimsa with special world status“ erklärt werde [15].

Während westlich oder japanisch gesteuerte indische Neo-Buddhisten die Hindus mit äußerster Heftigkeit angreifen, hat der Dalai Lama erkannt, daß beide Religionen im Wesen, im Bharatiya Dharma, eins sind und er und seine tibetischen Buddhisten daher reine und unerschütterliche Solidarität nur von den bewußten Hindus erwarten können.

Anmerkungen

1] Hindu Vishva, March-April 1979, Special Number: Second World Hindu Conference ( = HV), S.19

2] HV, S.19

3] HV, S.30

4] HV, S.30

5] HV, S.32

6] HV, S.31

7] HV, S.31

8] HV, S.31

9] HV, S.31

10] HV, S.31

11] HV, S.31

12] HV, S.32

13] HV, S.32

14] Die einflußreichste Versammlung von Hindu Religionsführern und Gelehrten.

15] VHP Bulletin Vol. 1, No.2, Margshish Pournima Yugabd 5089, New Delhi (1997), S.1 u. 8

Link zum Artikel. relkultur19

Schreibe einen Kommentar