Nr. 15a (1997)

Der Hindu Buddha
in der Theologie des bengalischen Vaishnava Acharya
Bhaktivedanta Swami

Nr. 15a (1997)

von Edmund Weber

Die Vaishnavas [1] zählen zu den indischen Dvaitas oder Theisten. Sie verehren Vishnu bzw. Krishna als einzigen, allumfassenden und personalen Gott. Dieser Gott kommt, wenn die Weltordnung, der Dharma, in Gefahr oder gestört ist, als heilbringender Avatar in die Welt. Und Buddha war ein solcher Avatar, d.h. eine helfende Inkarnation Vishnus.

Ganz in dieser Tradition stehend hat der weltbekannte Gaudiya-Vaishnava Lehrer und Gründer-Acharya der Iskcon, Swami Bhaktivedanta [1896-1977] [2] in seiner Theologie Buddha als Mensch gewordenen Gott,

als Inkarnation Krishnas, beschrieben. Zwar ist Buddha Krishna selbst, aber dieser erledigte [und erledigt bis heute?] in dieser Gestalt eine eng umgrenzte Aufgabe. Swami Bhaktivedanta zitiert diesbezüglich ein Vaishnava Gedicht, in welchem diese Aufgabe sehr schön besungen wird: „O Lord Krishna, You have assumed the form of Lord Buddha, taking compassion on the poor animals.“[3] Gott kam also als Buddha in diese Welt, um als Herr und Beschützer der Tiere Ahimsa, das Nichtverletzen von lebenden Wesen zu predigen und zu verbreiten.

In seinem Kommentar zum Shrimad Bhagavatam, einer der Heiligen Schriften der Vaishnavas, entwickelt Swami Bhaktivedanta seine eigene Buddha-Theologie. Den entsprechenden Text des Shrimad Bhagavatam übersetzt der Swami mit den Worten: „Am Anfang des Kali-yuga wird der Herr als Buddha, Anjanas Sohn, in der Provinz Gaya erscheinen, um diejenigen irrezuführen, die die gläubigen Theisten beneiden.“[4] Der Kommentator interpretiert diese Passage wie folgt: „Buddha, eine mächtige Inkarnation des Persönlichen Gottes, … , predigte seine eigene Auffassung von Gewaltlosigkeit und verurteilte sogar die in den Veden gebilligten Tieropfer.“[5] In der Zeit Buddhas seien nämlich die meisten Menschen Atheisten gewesen und hätten Tierfleisch jeder anderen Nahrung vorgezogen; sie hätten unter dem Vorwand, vedische Opfer auszuführen, nahezu jeden Ort in ein Schlachthaus verwandelt, in dem Tiere ohne Einschränkung gemordet worden seinen. Da diese Menschen dem Atheismus huldigten, sei Krishna in der Gestalt Buddhas als Atheist aufgetreten und habe dann behauptet, nicht an die Veden zu glauben, weil diese für die Seele äußerst schädlich seinen. Diese scheinbar antivedischen Äußerungen habe er aber nur getan, um die Tiere mordenden Atheisten von den Veden und damit von ihren Tieropfern abzubringen. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, sie zu Ahimsa zu erziehen: „Buddha verführte nur deshalb die Menschen dazu, die Veden abzulehnen, um die Menschen vom Laster des Tierschlachtens zu befreien.“[6] Der Buddhismus sei zwar den Worten nach Atheismus; er wäre insofern dem theistischen Krishnabewußtsein radikal entgegengesetzt und beider Beziehung ohne wesentliche gemeinsame Basis. Aber da die Buddhisten an Buddha glaubten, würden diese Atheisten dazu gebracht, in der Form der atheistischen Buddhaverehrung in Wirklichkeit an Gott zu glauben.[7]

In der Adi-lila des Shri Caitanya-Caritamrita erklärt Swami Bhaktivedanta, daß Shankaracharya [8] ebenfalls versucht habe, die Atheisten seiner Zeit zu bekehren; er habe „auf Anweisung der Höchsten Persönlichkeit Gottes,“ um die Atheisten wieder zum Theismus zu führen, einen betrügerischen Kompromiß zwischen Atheismus und Theismus geschlossen. Um die Autorität der Veden wiederherstellten, lehrte er nämlich die Veden nicht in ihrer ursprünglichen rein theistischen, sondern in der sub-theistischen Advaita-Bedeutung.[9] Shankaracharya verfolgte jedoch nach Swami Bhaktivedanta damit denselben Zweck wie Buddha, indirekt die eigentliche Autorität und Lehre der in Wahrheit theistischen Veden wieder herzustellen; und beide hätten dieselbe Akkomodationsmethode angewandt: die vorbereitenden Prinzipien der Veden in einer für die damalige Zeit geeigneten Weise zu verkünden.[10]

In gewissen Widerspruch zu dieser These von der Re-Theisierung stehen dann aber die von Swami Bhaktivedanta zitierten Worte Shivas an seine Gattin Parvati: „Auch bei der Erläuterung des Vedanta lehre ich die gleiche Mayavada-Philosophie, indem ich die persönliche Gestalt des Herrn verleugne, um so die gesamte Bevölkerung zum Atheismus, in die Irre, zu führen.“[11]

Während Shankaracharya die Menschen mit einer falschen Vedanta-Exegese der Veden täuschte, um sie – im Auftrage Shivas – zur Gottlosigkeit zu verführen oder um – im Auftrage Krishnas – die Atheisten betrügerisch wieder an die Veden zu binden, bestand die Mission des Buddha in einer handlungsorientierten, moralischen Heilspropädeutik. In der Madhya-Lila des Shri Caitanya-Caritamrita stellt Swami Bhaktivedanta die heilsökonomische Funktion des Buddhismus noch klarer als im Shrimad Bhagavatam dar: „Buddhas Aufgabe war es, die Atheisten von der Sünde des Tierschlachtens abzubringen. Atheisten können Gott nicht verstehen; aus diesem Grunde erschien Buddha und verbreitete die Philosophie der Gewaltlosigkeit, um so die Atheisten vom Tiertöten abzuhalten. Solange man nicht von der Sünde des Tiertötens frei ist, kann man weder Religion noch Gott verstehen. Obwohl Buddha eine Inkarnation Krishnas war, sprach er nicht über Gott, denn die Menschen waren damals nicht imstande dies zu verstehen. Sein Ziel war es einfach, daß das Tiertöten eingestellt würde.“[12]

Während Shiva in der Inkarnation des Brahmanen Shankaracharya die Veden im Sinne der Mayavada-Philosophie verfälschte, um die Menschen zum Atheismus zu verführen [13], kam Buddha als Inkarnation Krishnas auf die Erde herab, um die Atheisten indirekt zum Krishnabewußtsein zu führen.

Swami Bhaktivedanta beurteilt also den Buddhismus als heilbringende Ethik, den Hindu Shivaismus Shankaracharyas dagegen als unheilbringende Religion des Gotteszorns.

Das aber hat weitreichende Folgen für die religiöse Beziehung von Vaishnavas und Buddhisten: die Anhänger beider Religionen verehren denselben Gott.

Der Buddhismus ebnet also durch seine heilspropädeutische Ahimsa-Moral den Weg zur Erkenntnis der wahren Natur des Buddha: zum Krishnabewußtsein. Die Voraussetzung dieses Satzes heißt demnach, daß wahre Gotterkenntnis nur durch eine vorgängige Ahimsa-Praxis möglich ist[14]. Eine Bhakti ohne Ahimsa ist folglich nur Scheinfrömmigkeit.

Im Kontext dieser Buddha-Theologie Swami Bhaktivedantas wird denn auch sein erstaunlicher Satz, der sich auf den heutigen Buddhismus bezieht, deutlich: „Wir freuen uns, daß viele Menschen an der gewaltlosen Bewegung Buddhas Interesse finden.“[15] Und er setzt diesen Satz nicht mit einem Aufruf zur Bekehrung zum reinen Krishnabewußtsein, d.h. zur Konversion zu seiner Religionsgemeinschaft, fort, sondern mit einer buddhistischen Anfrage an die Buddhisten: „Aber wann werden sie die Angelegenheit wirklich ernst nehmen und alle Schlachthäuser ausnahmslos schließen?“ Und er schließt mit einer genauso buddhistischen Warnung: „Wenn das nicht geschieht, hat der Ahimsa-Pfad keine Bedeutung.“[16]

Selbst also der radikale Hindu Theismus stellt die grundsätzliche Zugehörigkeit des wie er meint atheistischen Buddhismus zur eigenen Religion nicht in Frage. Er bindet sich vielmehr in dieser Hinsicht theologisch so sehr, daß die Anerkennung der Buddhisten als Gläubige nicht von ihrer Stellung zu den Theisten abhängt. Zu stark ist die gemeinsame Dharma-Religion Indiens auch bei den strengen Vaishnavas verwurzelt, als daß sie die Buddha-Gläubigen zu Ungläubigen erklären könnten. Man könnte fast meinen, der Buddhismus stünde den Vaishnavas im Blick auf die Erlösung sogar noch näher als die Hindu Advaita Religion Shankaracharyas.

Swami Bhaktivedanta läßt aber, was seine Antwort auf unsere Frage nach der Beziehungsform von Hinduismus und Buddhismus angeht, keinen Zweifel daran aufkommen, daß trotz aller Kritik [17] Buddha ein Hindu war und deshalb der Buddhismus Teil der Hindu Religion ist. Als ihn ein Journalist, ohne indische Differenzierungen zu kennen, im westlichen Religionskundejargon fragte, ob das Krishnabewußtsein mit irgendeiner anderen Religion verknüpft sei oder von Hinduismus oder Buddhismus herrühre, antwortete er, durch die Grobheit der Frage ein wenig verunsichert, aber schließlich – echt hinduistisch jede sektiererische Selbstisolation sprengend – mit dem Bekenntnis des eigenen Hinduseins und der Anerkennung des Hindutums Buddhas: „Yes, you can call it Hinduism, but actually it does not belong to any ‚ism‘. It is a science of understanding God. But it appears like Hindu religion. In that sense Buddha religion is also Hindu religion because Lord Buddha was a Hindu and he started Buddha religion.“[18]

Unter den Hindus, insbesondere denen modernistischer Ausrichtung, die von Swami Vivekananda entwickelt worden ist [19], besteht Konsens darüber, daß die Buddhisten dem Hindu Dharma gleichberechtigt angehören. Swami Bhaktivedanta denkt genauso. Dies ist aber umso beachtlicher, als die Vaishnava Theisten und damit auch Swami Bhaktivedanta der These, daß der Buddhismus rein atheistisch sei, aufsitzen und ihn deshalb für sich ablehnen.

 

Anmerkungen

 

Aus technischen Gründen werden keine diakritischen Zeichen verwendet.

 

1] Wörtlich: Die Verehrer von Vishnu, meist Krishnaiten.

2] Geboren in Kalkutta, Bengalen. Er wuchs in der Radha-Krishna-Religion seiner Heimatstadt auf und erhielt dort von schottischen Missionaren seine Collegeausbildung. Vgl. Peter Schmidt: A.C. Bhaktivedanta Swami im interreligiösen Dialog [= THEION – Jahrbuch für Religionskultur X], Frankfurt [erscheint] 1999.

3] Lectures on Bhagavadgita am 20.7.1966 in New York. From Bhaktivedanta Archives: Bhaktivedanta VedaBase, Featuring the Complete Teachings of His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, 1995 [CD-Rom], Nr. 326520.

4] Shrimad Bhagavatam von Krishna-Dvapayana Vyasa. Übersetzung und ausführliche Erläuterung von A.C. Bahativedanta Swami Prabhupada. Vaduz: Bhaktivedanta Book Trust 1984. Erster Canto [=SB], S. 139. Übersetzung wohl besser: „In der Absicht, ’sura-dvisam‘, die Götterneider, d.h. die Asuras, irrezuführen, wird der Buddha, mit Namen Añjanas-Sohn, in Gaya [?] erscheinen.“

5] SB, S. 139

6] SB, S. 141

7] SB, S.140. Im Vishnu Purana K. 17 wird dagegen berichtet: „When the mighty Vishnu heard their [sc. der Götter; der Verf.] requests, he emitted from his body an illusory form, which he gave to the gods, and thus spoke: ‚This deceptive vision shall wholly beguile the Daityas [sc. die Feinde der Götter; der Verf.], so that, being led astray from the path of the Vedas, they may be put to death; for the gods, demons, or others, who shall be opposed to the authority of the Veda, shall perish by my might, whilst exercised for the preservation of the world.‘ Go then, and fear not: let this delusive vision precede you; it shall this day be of great service unto you, oh gods!‘ … The foes of the gods being thus induced to apostatize from the religion of the Vedas [, der sie offenbar vorher zugehörten; der Verf.], by the delusive person sent by Vishnu, became in their turn teachers of the same heresies, and perverted others; …“ Diese Inkarnation Vishnus hatte also die Aufgabe, die Daityas zu vernichten, nicht zu bessern; dazu diente, sie zu Apostaten zu machen, d.h. sie von der Vedischen Religion und ihren Tieropfern abzubringen: „Then the same deluder, putting on garments of a red colour, assuming a benevolent aspect, and speaking in soft and agreeable tones, addressed others of the same family, and said to them, „If, mighty demons, you cherish a desire either for heaven or for final repose, desist from the iniquitous massacre of animals [for sacrifice], and hear from me what you should do.“ Da die Daityas diesem Lehrer folgten und von den Veden abwichen, wurden sie schwach und konnten von den Göttern schließlich besiegt werden. Allerdings wird hier der Name Buddhas nicht genannt; auch wird vorausgesetzt, daß die irreführenden Lehren dieser Inkarnation Vishnus die Menschen nicht nur die Irrlehren der Buddhisten, sondern auch der Jainas und anderer Sekten verführt habe, bis schließlich niemand mehr den „doctrines and observances incalculated by the three Vedas“ mehr folgte [The Vishnu Purana. Translated by H.H. Wilson. Calcutta 1972, S.269 ff.].

8] Hindu Theologe und Sannyasin aus Kerala, Indien [8.Jhdt.]. Soll den Hinduismus gefördert und den Buddhismus kritisiert haben. Vgl. auch Sylvia Mangold: Shri Adi Shankaracarya [= THEION – Jahrbuch für Religionskultur IV,] Frankfurt 1994

9] Swami Bhaktivedanta: Shri Caitanya-caritamita [= SCC], Adi-lila, 3. Teil, Frankfurt usw. 1979, S. 307

10] SB, S. 141

11] Swami Bhaktivedanta: SCC, Adi-lila, 3. Teil, S. 307.

12] SCC, Madhya-lila, 5.Teil, Vaduz 1982, S.624

13] Swami Bhaktivedanta gibt allerdings für dieses unheilsgeschichtliche Handeln Krishnas keinen Grund an.

14] Sw. Bhaktivedanta führt den Atheismus auf das Tiertöten zurück. Vgl. SCC, Madhya-lila, 5.Teil, S.624

15] SB, S. 141

16] SB, S. 141

17] SCC, Madhya-lila, 2. Teil, Frankfurt usw. 1980, S. 296-307. Hier werden die wesentlichen Kontroverspunkte zur buddhistischen Religion im Rahmen einer triumphalen Diskussion Shri Krishna Caitanyas mit den südindischen Buddhisten abgehandelt.

18] Room Conversations with Journalist. Melbourne am 15.5.1975. From Bhaktivedanta Archives: Bhaktivedanta VedaBase, Featuring the Complete Teachings of His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, 1995 [CD-Rom], Nr. 455204.

19] Vgl. Edmund Weber: Swami Vivekananda und der Buddhismus, Journal für Religionskultur Nr. 05a. Für Vishva Hindu Parishad [vgl. Journal für Religionskultur Nr. 06], die sich religions- und kulturideologisch von Swami Vivekananda herleitet, ist Buddha der sozialethische Hindu Lehrer schlechthin. Bhupendra Kumar Modi, einer der führenden Hindu Industriellen Indiens, gründete, um die buddhistische Tradition dem Hinduismus umfassend zu erschließen, die World Buddhist Cultural Foundation. In seiner Schrift: ‚Hinduism – The universal Truth‘, New Delhi 1993, S. 91 heißt es denn auch über Bhagavan Buddha: „He was born, grew up, and died a Hindu.“ Im Gegensatz zu Swami Vivekananda und auch Bhaktivedanta werden von den heutigen Hinduführern auch die Buddhisten, nicht nur ihr Gründer, als vollgültige Hindus anerkannt.

Link zum Artikel: relkultur15a

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